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Das Märchen vom süßen freien Tod

Veröffentlicht in Arbeitsgemeinschaften

Der Arbeitskreis "Christen und SPD" hat mit Experten am 10.10.2014 über Sterbehilfe diskutiert.

Das Ergebnis: Sterben nicht durch die Hand des Arztes, sondern an der Hand des Arztes.

 

  1. Dr. Philipp Schwarz, Philosoph und Theologe:
  • Der assistierte Selbstmord wirft ethische Probleme auf: Zunächst die Frage von Autonomie / Freiheit: sie ist immer verbunden mit Verantwortung, Verantwortung aber hat man vor oder gegenüber einem Anderen. Jeder muss sich die Frage stellen: Wem antworte ich in der Anfrage auf meine Entscheidung, Beihilfe zum Suizid zu verlangen?
  • Denn zur Grunddimension der Personalstruktur des Menschen gehört (neben seiner Verfasstheit als Individuum, d.h. als ungeteiltes Selbst) auch die Beziehung auf ein DU; d.h. mein Handeln steht in Auswirkung auf Andere.
  • Die Einstellung zum Leben verändert sich, wenn assistierter Selbstmord zugelassen wird, denn: wenn Weiterleben eine von zwei Alternativen ist, ist Weiterleben automatisch begründungspflichtig (Rau). (Dieses Problem haben schon manche Eltern behinderter Kinder erleben müssen.)
  • Daraus ergibt sich die Ablehnung eines Menschenbildes, das sich primär auf die Würdigung von ratio und Leistung reduziert (macht Krankheit würdelos?)

 

  1. Dr. Gerhild Becker, Lehrstuhl für Palliativmedizin in Freiburg
  • Zunächst eine Begriffsklärung: aktive Sterbehilfe liegt vor, wenn das Ziel meines Handelns ist, den Tod herbeizuführen. Das ist strafbar. Um passive Sterbehilfe handelt es sich, wenn der Arzt den Sterbeprozess nicht unterbricht, was ärztlich sogar geboten ist (Schon Pius XII. sagte 1950, das Sterben müsse seinen Platz haben.). Indirekte Sterbehilfe ist eigentlich ein juristisches Konstrukt, wobei z.B. der Fall konstruiert wird, dass eine hohe Dosierung zur Schmerzlinderung als Nebenfolge den Tod bedeuten könnte. Da in diesem Fall aber das Ziel die Schmerzlinderung ist, was natürlich dokumentiert werden muss, handelt es sich hier nicht um Sterbehilfe, also um keinen Straftatbestand. In Wirklichkeit kommt dieser Fall, laut Frau Becker, nicht vor, weil eine adäquate Schmerztherapie eher das Leben verlängert als umgekehrt. Der Arzt hat grundsätzlich eine „Garantenstellung“: er ist zur Hilfestellung ärztlich verpflichtet. Der assistierte Selbstmord ist in Deutschland straffrei, was logisch ist, denn die Tat liegt beim Betroffenen, und wenn Selbstmord nicht bestraft wird, ist auch Hilfe zum Selbstmord straffrei.

Der Gesetzentwurf von Minister Gröhe kann sich deshalb nur gegen die gewerbsmäßige Sterbehilfe richten, die verboten werden soll.

  • Warum wünschen sich nun Menschen den Tod und ist der Todeswunsch automatisch auch der Wunsch getötet zu werden?

Es gibt im Wesentlich drei Gründe für den ersten Teil der Frage, nämlich die Angst vor Autonomieverlust in der High-Tech- = Apparate-Medizin (80 % der krankheitsbedingten Kosten entfallen auf das letzte halbe Lebensjahr!), die Angst, kein natürliches Sterben mehr zu erleben, die Angst vor Schmerzen und die Angst, den Angehörigen zur Last zu fallen. Hoffnungslosigkeit aber führt zur Depression.

Wie ist die Realität? 0,01 % der Bevölkerung bringen sich um, von diesen maximal 4 % im Kontext einer „terminalen Erkrankung“. Ein Selbstmordversuch hat sehr oft „appellativen Charakter“: bitte, helft mir!

Was den zweiten Teil der Frage angeht, so ist laut Frau Becker der Todeswunsch meist sofort verschwunden, wenn die Schmerzen gelindert werden. Man kann ihn aber auch verstehen als gedankliches Sich-Auseinander-Setzen mit einer „potenziellen Möglichkeit“, als „coping-Strategie“, die hilft, Leiden zu ertragen (im Übrigen sollte man Schmerzen und Leiden inhaltlich auseinanderhalten!), was den Patienten um so besser möglich ist, wenn sie in einemstabilen Beziehungsgeflecht leben.

Für 95 % der Krankheiten, die zum Tode führen, gibt es die Möglichkeit der Schmerzlinderung, die restlichen 5 % werden „sediert“, d.h. sie werden in einen Dämmerschlaf versetzt.

  • Wie können wir also mit dem Todeswunsch umgehen?

Man muss ihm Raum geben, d.h. als Arzt und Mitmensch mit dem Kranken im Gespräch bleiben, ihn idealer Weise beim Sterben begleiten. Deshalb ist die Hospizbewegung so wertvoll. Der Todkranke besitzt in jeder Minute seines Lebens Würde. Diese wird durch aktive Sterbehilfe verletzt. Ganzheitlich verstandene und organisierte Palliativmedizin ist eine Antwort, dem Leiden zu begegnen. „Statt Sterben durch die Hand des Arztes, Sterben an der Hand des Arztes.“

Für Frau Becker beobachtet bei manchen Todeswilligen (oft Intellektuellen) den Versuch, der Unverfügbarkeit des Todes(mors certa, hora incerta, - wussten schon die Alten!) zu entgehen, mit der Konsequenz: die High-Tech-Medizin wird es richten oder, wenn der Tod nicht vermeidbar ist, dann will ich dieses Geschehen selber gestalten. Ihrer Meinung nach will der moderne Mensch alles unter Kontrolle haben, weil er ein Mensch der Angst und nicht der Zuversicht ist. Der Tod ist eine „narzistische Kränkung“, die man nicht hinnehmen will.

  • Zur Bedeutung der Patientenverfügung: Wenn man weiß, dass 70 % der Todesfälle bei terminalen Erkrankungen in den Kliniken auf den Abbruch der Behandlung zurückgehen, dann kommt dieser eine große Bedeutung zu. Noch wichtiger ist laut Frau Becker allerdings die Vorsorgeverfügung. In der ärztlichen Realität heißt das konkret: der Arzt hat mit der ärztlichen Indikation die „Einschätzungsprärogative. Dann erfragt er den Willen des Patienten oder, wenn das nicht mehr möglich ist,  seinen „vorab verfügten Willen“, die Patientenverfügung, und schließlich den „mutmaßlichen Willen“ derjenigen, den der Patient für diese Auskunft durch Vorsorgeverfügung bestimmt hat. Diese Person kennt den Wertehorizont des Kranken und kann die Gesamtpersönlichkeit einschätzen.

 

  1.  Dr. Eva Mörike (Hausarztpraxis Tübingen, Palliativmedizinerin, ehrenamtlicher Hospizdienst) berichtet aus der Praxis
  • bisher kein einziger Wunsch nach ärztlich assistiertem Suizid, aber oft Lebensmüdigkeit und Angst vor Demenz
  • oft Ablehnung von Morphin aus Angst vor Abhängigkeit, obwohl diese Gefahr nicht besteht
  • bei Todkranken ist oft nicht der körperliche Schmerz vorrangig, er wird oft überlagert vom Schmerz des Abschiednehmens, verbunden mit der Schwierigkeit, eine Lebensbilanz ziehen zu müssen
  • Leben im Angesicht des Todes kann sehr wertvoll sein; wenn wir dem Sterben Wertschätzung entgegen bringen, was sich in einer zugewandten Beziehung zeigt, dann kann der Kranke den letzten Schritt auch „feierlich“ alleine gehen
  • Warum haben wir Angst vor Demenz? Ein Demenzkranker weist all das nicht mehr auf, was unsere Gesellschaft am meisten schätzt: Leistung, Autonomie, Verstand, klares Bewusstsein.

Aber man muss sich bewusst machen: die Persönlichkeit ändert sich vielleicht, aber der Kranke hat sie nicht verloren. Emotionale Zuwendung ist für ihn das Wichtigste, aber gerade das kann in Heimen und Kliniken nur schwer geleistet werden. Hier ist zivilgesellschaftliches Engagement gefordert. Die Tübinger Hospizbewegung leitet dazu Bereite zu dieser „letzten Hilfe“ an.

 

 

Angela Madaus11.10.2014

 

 

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